Mythos oder Wahrheit in der Sieben

Ein Ostfalia Projekt mit der Dr.-Klaus-Schmidt-Hauptschule in Salzgitter-Bad

Mythos oder Wahrheit ist ein Kooperationsprojekt mit der Dr.-Klaus-Schmidt-Hauptschule in Salzgitter Bad

 

Die Lebensrealität junger Menschen ist zu einem großen Anteil eine digitale, besonders auf Social Media Plattformen. Dort begegnen sie gezielt oder zufällig den verschiedensten Inhalten und möglicherweise auch nicht ungefährlichen. Ein Beispiel dafür sind Verschwörungserzählungen, die sich besonders im Netz einfach und schnell verbreiten. Im Interview sprechen Maja Bahrke und Jennifer O’Brien über das Ostfalia-Projekt „Mythos oder Wahrheit in der Sieben“, das sich mit diesem Thema beschäftigt.

Maja, du bist wissenschaftliche Mitarbeiterin und inhaltliche Projektkoordinatorin, Jennifer ist als pädagogische Mitarbeiterin und Mediengestalterin Teil des Projektteams – worum geht es in dem Projekt?

„Mythos oder Wahrheit in der Sieben“ ist ein Projekt der Ostfalia Hochschule im Innovationsfonds des Bundesprogrammes „Demokratie leben!“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend). Im Projekt kooperiert die Hochschule mit der Dr.-Klaus-Schmidt-Hauptschule in Salzgitter-Bad.

Im Projekt unterstützen wir junge Menschen dabei, Verschwörungserzählungen und Desinformationen zu entlarven und dagegen selbstbewusst Stellung zu beziehen – für ein inklusives und solidarisches Miteinander, für den eigenen Wertekompass im Netz und die Stärkung von Persönlichkeit und Selbstwirksamkeit. All diese Fähigkeiten braucht es, um Demokratie leben zu können.

In leitender Funktion steuert Prof. Harald Rau „Mythos oder Wahrheit in der Sieben“. Projektunterstützung in Konzeption und Begleitforschung gibt es während des Sommersemesters 2023 von Carolin Gaus, Myrta Knauf und Svenja Marquardt (Studentinnen des Masterstudiengangs „Kommunikationsmanagement“ im zweiten Fachsemester).

Wie ist das Projekt zu Stande gekommen, woher kommt die Idee dafür?

Als Medienstandort beschäftigen wir uns am Campus in Salzgitter natürlich auch mit Fragen der Medienkompetenzentwicklung, denn: Medienkompetenz ist die Schlüsselkompetenz unserer Zeit und sie ist hier nicht nur im Sinne einer „Bedienfähigkeit“ von Medientechnik zu verstehen, vielmehr sollte und muss Medienkompetenz politisch gedacht werden. Wir könnten sie beispielsweise als eine Schlüsselfähigkeit und Voraussetzung von Demokratiekompetenz begreifen. Demokratie – auch die repräsentative – lebt vom Mitmachen, von der Beteiligung, einer mündigen Partizipation – auch in einer durchdigitalisierten Demokratie. – Gleiches gilt umgekehrt: Politische Bildung (in demokratischen Gemeinwesen) ist Voraussetzung für aktive Partizipation an politischen Prozessen und sie beinhaltet stets die verantwortungsbewusste, mediale Kompetenz und ein stabiles Wertesystem aller Beteiligten. Wir wollen, dass Demokratie lebt und deshalb ist Medienkompetenz so wichtig. Damit passt das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ hervorragend zu dem, womit wir uns hier am Standort Salzgitter auseinandersetzen und wozu wir einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag leisten wollen.

Was ist das Besondere am Projekt, wieso ist das Thema so wichtig?

Zunächst zur Relevanz: Die Lebensrealität junger Menschen ist zu einem großen Anteil eine digitale, sie spielt sich auf Social-Media-Plattformen ab, allen voran TikTok. Tagtäglich sind immer neue Internettrends, sexualisierte Inhalte, Gewaltdarstellungen, falsche Informationen, Deepfakes uvm. ständige Bestandteile der realen Lebenswelt Minderjähriger. Eine solche Realität kann mit negativen Gefühlen, Sorgen und Ängsten verbunden sein. Sie ist schwer handhabbar, ein Entkommen scheint unmöglich – ist eine Anfälligkeit für gefühlte Wahrheiten die logische Konsequenz? Verschwörungsmythen verbreiten sich einfach und schnell, oftmals bleiben sie im Austausch unter Peers unwidersprochen. Lehrkräften und Eltern fehlt häufig der direkte Einblick in die digitalen Kommunikationsdynamiken ihrer Schülerinnen und Schüler und Kinder.

Besonders an „Mythos oder Wahrheit in der Sieben“ ist unsere maximal diverse Zielgruppe. Wir arbeiten mit Hauptschülerinnen und –schülern im ländlich-, kleinstädtischen Raum zusammen. Das heißt, dass der Anteil an Migrant:innen sowie Kindern und Jugendlichen politikferner Schichten hoch ist und wir im Rahmen der Demokratiekompetenzentwicklung vieles nicht als gegeben annehmen können.

Die Offenheit und Wissbegierde unserer jungen Projektteilnehmenden hilft enorm, sprachliche und kontextuelle Herausforderungen zu meistern und uns gemeinsam in die Richtung einer eigenen Haltung und einem eigenen Urteilsvermögen zu bewegen. – Auch das (neben vielen weiteren) elementare Bestandteile eines Medienkompetenzverständnisses von politischer und gesellschaftlicher Relevanz.

Wie ist der aktuelle Stand im Projekt, was habt ihr schon gemacht, wo geht’s noch hin?

Im diesem Schulhalbjahr sind wir bis zu den Sommerferien in den siebten Klassen der Dr.-Klaus-Schmidt-Hauptschule in Salzgitter-Bad wöchentlich zu Gast. Insgesamt hat das Projektteam dafür neun Unterrichtseinheiten gestaltet, die im analogen Raum an der digitalen Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler ansetzen.

Thematisch sind wir mit „Mythen“ eingestiegen, deren narrative Strukturen entschlüsselt wurden. Die Schülerinnen und Schüler konnten Podcasts aufnehmen und eigene Fantasieerzählungen aus der Kindheit mündlich wiedergeben. Auch dort ließen sich systematische Erzählstrukturen wiederfinden, die anschließend mit dem Aufbau von Verschwörungserzählungen verglichen wurden. „Ziemlich ähnlich“, das war die Erkenntnis der ersten Projektstunden.

Aktuell sind wir dabei, uns tiefgehender mit Verschwörungserzählungen auseinanderzusetzen. In verschiedenen Rollenspielen erleben die Schülerinnen und Schüler wie es ist, mit einer Argumentation konfrontiert zu sein, die konträr zur eigenen Meinung agiert und eine offensichtliche Fiktion ist. Ziel dieser Übung ist, die Muster einer Verschwörungsargumentation schnell zu entlarven, zu wissen, wie es sich davor schützen lässt und zu erfahren, wie gefährlich (und manchmal auch glaubwürdig) Verschwörungserzählungen sein können.

Im nächsten Schritt werden die Jugendlichen weiter in kritischer Kompetenz geschult, sie werden lernen, Faktenchecks anzuwenden und die Qualität von Quellen einzuschätzen. Als Ergebnis der Zusammenarbeit entsteht ein digitales Lehr-, Lernwerkzeug, das Schulen mit ähnlichen Herausforderungen frei zur Verfügung steht.

Das Gesamtprojekt begleiten wir außerdem forschend. Aktuell erheben wir den Grad an Demokratiekompetenz in den siebten Klassen vor Projektbeginn im Vergleich zum Stand nach Abschluss der neun Unterrichtseinheiten.

Die Dr.-Klaus-Schmidt-Hauptschule in Salzgitter Bad

Welche Erkenntnisse oder Erfahrungen habt ihr schon gesammelt?

Die Annahme, dass unsere Zielgruppe divers ist, hat sich bestätigt. Wir haben es mit sehr heterogenen Klassenzusammensetzungen zu tun, die erfordern, dass wir individuelle Aufgabenstellungen konzipieren und bei der Arbeit im Plenum viele Inhalte stark herunterbrechen, Hilfestellung geben und auf Redundanz setzen. Es sind kleine Schritte, die in Richtung Kompetenzentwicklung gegangen werden müssen. Das erfordert Geduld, Resilienz und bedachtes Vorgehen. Dass viele Bildungsmaterialien, die Open Access zur Verfügung stehen, nicht für diese heterogene Zielgruppe geeignet sind, bestätigt uns in der Relevanz unserer Arbeit.

Letzte Frage: Wie kann eure Arbeit am Projekt verfolgt werden?

Wir berichten in regelmäßigen Abständen über konkrete Projektinhalte und –erkenntnisse und geben Einblicke in unsere aktuell laufende Forschung.

Blog: https://komma.ostfalia.de/

LinkedIn: https://de.linkedin.com/company/komma-professur

Instagram: @mythos_oder_wahrheit

Vielen Dank für das Interview!