"Medienkompetenz ist nicht gleich Medienkompetenz."

Interview mit Prof. Dr. Christina Ortner

Christina Ortner ist Professorin für Online-Kommunikation an der University of Applied Sciences in Oberösterreich und beim diesjährigen Medienforum als Keynote-Speakerin dabei. Als Expertin für die Entwicklung von Medienkompetenz, besonders bei benachteiligten Jugendlichen, gibt sie einen Einblick in ihre bisherigen Forschungen. Im Interview mit Samira Wiggert spricht sie über die Relevanz des Themas „Medienkompetenz“ und über ihre Erfahrungen, die sie an die Studierenden weitergeben möchte.

Bildnachweis: Prof. Dr. Christina Ortner

Medienkompetenz ist nicht gleich Medienkompetenz. Der Begriff wird derzeit häufig in der öffentlichen und fachlichen Debatte verwendet. Schaut man ein bisschen näher hin, so merkt man rasch, dass jede(r) etwas Anderes darunter versteht, je nachdem welche Interessen er/sie vertritt oder aus welcher Forschungstradition er/sie kommt.

Der Titel des diesjährigen Medienforums ist „Medienkompetenz – Schlüsselqualifikation der digitalen Gesellschaft“. Was macht das Thema Medienkompetenz für Sie so wichtig?

Wir erleben seit einiger Zeit einen grundlegenden sozio-ökonomischen Wandel, der in der Kommunikationswissenschaft unter dem Schlagwort Mediatisierung diskutiert wird. Laut Hepp (2021) befinden wir uns bereits in einem Stadium tiefgreifender Mediatisierung, in der „digitale Medien und ihre Infrastrukturen unsere Gesellschaft umfassend durchdringen“. Um in solch einer Welt handlungsfähig zu bleiben, ist Medienkompetenz unabdingbar.

Sie haben sich in einem Projekt mit der Chancengleichheit der digitalen Zukunft beschäftigt und konkret mit der Entwicklung von Medienkompetenz bei sozial benachteiligten Jugendlichen. Welche Erkenntnisse haben Sie dabei in Bezug auf Ihre Forschungsfrage gesammelt?

Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien stehen in recht unterschiedlichem Ausmaß Ressourcen zur Verfügung, die sie zur Aneignung von Medienkompetenz heranziehen können. Während manche trotz erschwerter sozio-ökonomischer Bedingungen auf eine gute technische Ausstattung, auf kompetente Unterstützung ihres sozialen Umfelds und ein förderliches schulisches Umfeld zurückgreifen können, haben andere diese Ressourcen  nicht oder nur in eingeschränkter Form. Hier ist ein differenzierter Blick auf die konkrete Situation einzelner Jugendlicher nötig.

Frau Ortner, Sie sind Professorin für Online Communications an der University of Applied Sciences in Oberösterreich. Welche Frage wird Ihnen zur Online-Kommunikation am meisten gestellt bzw. welche Frage können Sie vielleicht nicht mehr hören?

Welche Rolle Social Media im Kontext von Fake News, Filtern Bubble und Hate Speech spielen. Das sind zweifellos wichtige Fragen, die auch sicher noch nicht ausreichend erforscht sind. Mitunter werden diese komplexen Probleme aber recht undifferenziert betrachtet und laufen so Gefahr zu Buzzwords zu verkommen.

Welche Erkenntnisse und Erfahrungen haben Sie in Ihren Forschungen, Projekten – ganz allgemein: bei der Arbeit mit der Medienkompetenz gesammelt?

Systematische Zusammenhänge zwischen Faktoren sozialer Lage und der eigenen Einschätzung von Medienkompetenz lassen sich zumindest in unseren Daten nicht eindeutig feststellen. Anders ist das in Bezug auf das Geschlecht. Hier bestätigen sich leider die gängigen Stereotype: Mädchen trauen sich online weniger zu, fühlen sich im Internet weniger wohl und können sich weniger gut vorstellen, eine Ausbildung oder einen Beruf mit digitalen Medien zu ergreifen. Kein Wunder also, dass wir gerade im deutschsprachigen Raum nur wenige Frauen in entsprechenden Berufen finden und der Prozess der Digitalisierung in großem Maße von Männern gestaltet wird.

Sind soziale Medien wirklich sozial? Sehen wir vielleicht nur zu gerne die Vorteile der Plattformen und deren Inhalte und vernachlässigen dadurch die Nachteile – wie sehen Sie das als Wissenschaftlerin?

Ich denke, wir führen hier eine ähnliche Debatte wie bei der Einführung fast jedes neuen Mediums. Nur allzu gut erinnere ich mich an die medienpädagogischen Diskussionen rund um das Fernsehen und davor um Comics, Bücher etc. Jedes Mal lagen die Vorteile auf der Hand, erfüllten doch diese Medien bestimmte Bedürfnisse, die dazu führten, dass sie vielfach genutzt wurden. Jedes Mal waren damit aber auch Probleme verbunden wie etwa die Konfrontation mit bedenklichen Inhalten (z.B. Gewalt), gesundheitliche Auswirkungen (z.B. Verschlechterung der Augen…) und so weiter. In Bezug auf soziale Medien sind es vielleicht andere Vorteile und auch andere Gefahren – wie alle anderen Medien eröffnen sie aber sowohl Chancen als auch Risiken. Mit diesen umgehen zu können, ist letztlich eine Frage der Medienkompetenz. Natürlich darf man dabei aber auch die Anbieter nicht aus der Verantwortung entlassen. So gesehen begrüße ich die jüngeren Bemühungen um eine stärkere Regulierung von Facebook, Google, Amazon und Co.

Woran möchten Sie zukünftig noch forschen, welcher Themenbereich der Online-Kommunikation hätte mehr Forschung verdient?

Das Feld der Online-Kommunikation ist so breit, dass ich gar nicht weiß, wo ich hier beginnen soll. Was uns sicher noch eine Weile beschäftigen wird, sind Fragen rund um algorithmisch gesteuerte Kommunikation und ihre Implikationen. Ich persönlich möchte natürlich an meine bisherigen Arbeiten im Bereich der Jugendmedienforschung anknüpfen. Ich finde es spannend wie junge Menschen unter anderem mit Hilfe digitaler Medien die vielfältigen Herausforderungen bewältigen, mit denen sie in ihrem Alltag konfrontiert sind.

Was motiviert Sie bei Ihrer täglichen Arbeit, was gefällt Ihnen daran am besten?

Dass ich immer wieder auf Dinge stoße, die ich noch nicht weiß, die ich so noch nicht betrachtet habe und die mein Denken neu anregen.

Wir dürfen Sie als Keynote-Speakerin beim diesjährigen Medienforum begrüßen. Worauf sind Sie gespannt bzw. worauf freuen Sie sich am meisten?

Am meisten freue ich mich auf den Austausch mit den anderen Teilnehmer:innen. Oft ist es nicht nur die eigene Auseinandersetzung mit einem Thema z.B. im Rahmen von Forschungsarbeiten, die einen vorwärts bringt, sondern auch die Konfrontation mit der Perspektiven anderer. Insofern verstehe ich meinen Vortrag nicht in erster Linie als Vermittlung von Wissen, sondern vor allem als Anregung zur Diskussion.

An der Ostfalia Hochschule gibt es u.a. die Studiengängen Medienkommunikation, Medienmanagement, Kommunikationsmanagement und Mediendesign. Welche Tipps haben Sie für Medienstudierende, die sich für eine berufliche Zukunft in der Forschung und Lehre über Medien interessieren?

Die Wissenschaft ist ein ungemein spannendes, aber hoch kompetitives Feld. Um hier Fuß zu fassen, müssen Sie viel Interesse, Engagement, Eigeninitiative und Selbstdisziplin mitbringen. Einerseits müssen Sie gewissen mitunter hohen Erwartungen gerecht werden (z.B. in Bezug auf Forschungs- und Lehrleistung, Publikationserfolge, aber auch Mobilität etc.). Andererseits sollten Sie dabei immer ihren eigenen Weg gehen und ihre persönlichen Anliegen und Themen voranbringen. Den Gestaltungsspielraum dafür werden Sie in der Wissenschaft jedenfalls vorfinden, denn es ist Teil des Berufsbilds Forschung und Lehre in gestaltender Weise voranzubringen.

Vielen Dank für das Interview!

Samira Wiggert